

Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass Roboter den Operationsaal erobern, wir unsere Ärzte online besuchen oder Smartwatches zu wichtigen Gesundheitstools werden?
Die Pandemie hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen wie im Zeitraffer vorangetrieben: Eine ganze Branche sah sich von heute auf morgen gezwungen, ihre Prozesse von einer stationären in eine digitale Form umzuwandeln.
Während diese Entwicklung viele Akteure im medizinischen Bereich vor große Herausforderungen stellte, gab sie Health-Startups Rückenwind: Laut dem aktuellen Report des Bundesverbands Deutsche Startups überholten im ersten Halbjahr 2022 Neugründungen im Gesundheitswesen erstmals den Bereich der Softwareunternehmen – 17 % aller neugegründeten Startups werden dem Sektor „Health“ zugeordnet. Ein Großteil konzentriert sich dabei auf das Gebiet der Digitalisierung.
Big-Data-Anwendungen revolutionieren die Medizin
Neben der Digitalisierung zeichnen sich zwei weitere Trends für die Medizin der Zukunft ab: Prävention und Personalisierung. Dafür werden KI-Systemen und der Datenerhebung durch Patienten eine große Bedeutung zugeschrieben. In den E-Health-Maßnahmen bis 2025 zur Digitalisierung im Gesundheitswesen hat das Bundesministerium für Gesundheit u. a. festgeschrieben, Künstliche Intelligenz und Big-Data-Anwendungen verstärkt zu fördern.
Zudem setzt sich die Erkenntnis durch, dass Daten zum Gesundheitszustand in allen Lebenslagen entstehen und diese genauso wichtig sind wie Informationen aus Arztbesuchen oder Krankenhausaufenthalten, um individuellere Behandlungen anzubieten. Zusätzlich stellt sich aufgrund der steigenden Verfügbarkeit und Nutzung von smarten Gesundheitsanwendungen immer häufiger die Frage nach sinnvollen Einsatzpotenzialen von Big Data für das Gesundheitswesen. Immerhin nutzen rund 15,5 Millionen Deutsche Smart Watches, Fitnessarmbänder und Co., um ihren Lebensstil von der Ernährung über den Schlafrhythmus bis hin zu Sportaktivitäten zu tracken. Je nach Gerät sind unterschiedliche Sensoren wie Beschleunigungs-, Licht-, Herzschlagsensoren oder GPS verbaut, die verschiedenste Messungen durchführen. Nach Einwilligung können einige Anwendungen so auch Daten für die Wissenschaft erheben, was die Wearables in den Fokus der medizinischen Forschung rückt. Denn für eine individuelle Medizin braucht es möglichst viele spezifische Informationen.
Neue digitale Ära im Gesundheitswesen: die elektronische Patientenakte
Die Ausweitung digitaler Angebote ist auch bei der Telematikinfrastruktur (TI) – einer Plattform für Gesundheitsanwendungen in Deutschland – spürbar. Durch das Digitale-Versorgungs-Gesetz ist es Ärzten seit 2019 möglich, digitale Gesundheitsanwendungen auf Kosten der Krankenkassen zu verschreiben. Der nächste Schritt: Mit dem Ausrollen der elektronischen Patientenakte (ePA) sollen Menschen künftig per App Einblick und Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten erhalten. Nach Kurzdefinition der Nationalen Agentur für Digitale Medizin ist die ePA ein digitaler Ablageort, in dem Bürger und medizinisches Personal Gesundheitsinformationen als Kopie speichern können, wobei die volle Hoheit über die Daten bei den Versicherten bleibt, und sie entscheiden können, ob überhaupt eine ePA angelegt und geführt werden soll. Die Maßnahme wird aktuell auch als „Königsdisziplin“ der Digitalisierung in der deutschen Gesundheitsversorgung angesehen. Per Gesetz sind Ärzte seit dem 01. Juli 2022 verpflichtet, sich an die elektronische Patientenakte anzubinden.
Das langfristige Ziel liegt in der Speicherung sämtlicher Gesundheitsdaten wie Befunden, Diagnosen, geplanter Therapiemaßnahmen u. v. m. Das umfassende Komplettpaket soll vor allem die Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren des Gesundheitssystems optimieren – rund 93 % der medizinischen Daten werden noch weitgehend analog ausgetauscht und Bildgebungsverfahren wie bspw. Röntgen oder Ultraschall aufgrund mangelnder Infrastruktur mehrfach durchgeführt.
Gerade hier liegt viel Potenzial zur Optimierung: Startups aus den verschiedensten medizinischen Richtungen entwickeln Technologien, welche digitale Befunde sowie deren sichere Speicherung ermöglichen, um Daten ortsunabhängig verfügbar zu machen, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und natürliche Ressourcen zu sparen.
Regularien und Datenschutz
Doch es ist gar nicht so einfach, mit einem Medizinprodukt erfolgreich zu sein. Strenge Regulierung, komplexe Systeme und umfassende Datenschutzvorgaben sind nur einige Gründe dafür. Um eine Anwendung oder Technologie auf dem deutschen Markt zu medizinischen Zwecken nutzen zu können, ist eine Zulassung als Medizinprodukt nach § 3 Abs. 1 Medizinproduktegesetz (MPG) notwendig.
Im Zulassungsprozess werden auch Datenschutzbedingungen der Anwendungen bewertet, denn personenbezogene medizinische Daten gelten als besonders sensibel und unterliegen zusätzlichen Anforderungen – teilweise auch der Verschwiegenheitspflicht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat vor diesem Hintergrund eine 90-seitige Orientierungshilfe zum Gesundheitsdatenschutz veröffentlicht. Inhalte sind u. a. Vorgaben für Apps als Teil der digitalen Gesundheitswirtschaft, die umfassenden Dokumentationspflichten, aber auch der Umgang mit Big-Data-Anwendungen.
So heißt es in einem Abschnitt zu Big-Data-Analysen beispielsweise, dass die DSGVO einen forschungsfreundlichen Ansatz verfolge – was bedeutet, dass eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Rahmen von forschungsorientierten Big-Data-Analysen unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Einwilligung der Betroffenen erlaubt ist, Ausnahmen für Informationsrechte und Löschungspflichten jedoch nicht in Betracht kämen. Hingegen kommt dem Datenschutzrecht bei Gesundheits-Apps aufgrund des einfachen Zugangs eine entscheidende Rolle zu. Die wichtigste gesetzliche Verarbeitungsgrundlage ist dabei die ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen, welche eingeholt werden muss, bevor die jeweilige Verarbeitung beginnt. Gegenwärtig gelten verschiedene Datenschutzsiegel,
-prüfzeichen oder -zertifizierungen als Nachweis, dass ein Unternehmen datenschutzrechtliche Anforderungen einhält.
Health Startups bei Seedmatch-Crowd beliebt
Auch die Seedmatch-Crowd hat in den vergangenen Jahren schon mehrere Medizinprodukte unterstützt, darunter zum Beispiel den OvulaRing, eine Erfindung aus Leipzig. Ein Biosensor misst im Körperinneren der Frau laufend die Temperatur und kann anhand der Werte den weiblichen Zyklus vollständig abbilden. Durch exakte und lückenlose Messwerte hilft das Produkt Frauen dabei, den Eisprung und die fruchtbare Phase zu bestimmen. Bei einem Kinderwunsch, aber auch zur Unterstützung der natürlichen Verhütung kann das hilfreich sein.
Ein weiteres erfolgreiches Beispiel ist Wawibox – eine Online-Materialwirtschaft inklusive Preisvergleich speziell für Zahnarztpraxen. Das Startup startete 2015 eine Crowdinvesting-Kampagne auf Seedmatch. 300.000 Euro stellte die Crowd Wawibox damals zur Verfügung. 2021 kam es durch die Beteiligung von Prospitalia – Deutschlands führendem Einkaufsdienstleister im Gesundheitsbereich – dann zum erfolgreichen Exit.
Zuletzt konnte mit Alacris ein weiteres Unternehmen aus der Medizinbranche in zwei Kampagnen über 1,6 Mio. Euro mithilfe der Crowd einsammeln, um seine Diagnostik für maßgeschneiderte Krebstherapien und seine Methoden für datenbasierte individuelle Medizin weiterzuentwickeln.
Mediziner schätzen Health-Startups
Dass die Startup-Aktivität im Bereich Digital Health im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat, wird auch von Medizinern sehr geschätzt. Zu diesem Ergebnis kommt der Digitalverband Bitkom. 477 Ärzte aller Fachrichtungen hat der Verband zum Thema befragt. Die große Mehrheit steht den digitalen Entwicklungen im Gesundheitswesen offen gegenüber. Mehr als jeder dritte Arzt glaubt, dass Health-Startups mit ihren digitalen Versorgungsangeboten zur Verbesserung des Gesundheitswesens beitragen können, bei den jüngeren Medizinern sind es sogar 61 Prozent. „Die Medizin der Zukunft wird heute nicht mehr ausschließlich mit Reagenzglas und Mikroskop erforscht, es geht um Sensoren, um künstliche Intelligenz”, erklärt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder und ergänzt: „Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird Krankheiten heilen und unser Leben länger und angenehmer machen – Startups leisten dazu einen wichtigen Beitrag.”